schon wieder ein Abschied

Ich bin als Kind mit Tieren aufgewachsen.

Als ich noch sehr klein war, muss es da einen Jagdhund mit Namen Bessi gegeben haben. Ich kann mich nicht wirklich an ihn erinnern aber es existiert noch mindestens ein Foto von ihm (natürlich der Zeit Epoche angemessen in schwarz-weiß und mit geriffeltem Rand).

An was ich mich erinnern kann ist, dass es bis zu meiner Jugend immer ein bis zwei Katzen bei uns gab. Und immer hießen die Katzen Schnurrle.

Viel später erst hab ich erfahren, dass Miezekatzen in den allerseltensten Fällen nur ein Katzenjunges bekommen. Bei uns war das so, da gab es immer eine Mutterkatze Schnurrle und ein Katzenbaby Schnurrle. Ich hab das nie hinterfragt und werde auch jetzt damit nicht anfangen.

 

Nachdem ich recht jung geheiratet habe und mein Sohnemann zur Welt kam, wir unsere erste eigene Wohnung hatten dauerte es gar nicht lange, bis ich von einer damaligen Kollegin quasi mein erstes, eigenes Haustier bekam – eine Malteserhündin Namens Annabel.  Sie war recht klein und süß, zur Zucht vermutlich ungeeignet gewesen und so landete sie bei mir / bei uns.

Nach ein paar Jahren und einem Umzug in eine größere Wohnung stand fest, dass wir uns trauen würden, ein eigenes Haus in Angriff zu nehmen und in weiser Voraussicht, dass unsere Annabel als Wachhund vermutlich ungeeignet sein würde, kam zu dem weißen Wollknäuel noch ein Schäferhundwelpe hinzu. Es war schon putzig mit anzusehen, wie die kleine Hündin quasi als Mutterersatz fungierte und das auch noch so war, als unser Benny schon längst in der Lage gewesen wäre, sie mit einem Happs zu verspeisen.

Wir wohnten schon eine Weile im Haus, als wir von unserem Nachbarn noch ein Kätzchen dazu adoptierten und irgendwann eines Nachts platschte es in unserem Pool und heraus zogen wir einen Ausreißer ohne wirklichen Familienanschluss – einen Schäferhund-Collie-Mix, der fortan auch noch unser Leben bereicherte und den wir auf den Namen Buck tauften.

 

Zwischenzeitlich war mein Sohnemann auch schon in die tierlieben Fußstapfen getreten und nach einem Dorffest teilte er sich sein Kinderzimmer mit einem Meerschweinchen, welches -wie konnte es anders sein – sich eines nachts „urplötzlich vervielfältigt hatte“ und da war es dann gleich eine ganze Horde grunzender, quietschender Tiere, die sein Zimmer belebten. OK, DAS war dann selbst mir zu viel und da wir auf dem Dorf wohnten fand sich auch recht bald ein netter Bauer in der Nähe, der bis auf das Muttertier und noch ein Junges alle anderen Säue mit in seinem Hasenstall wohnen lies.

DAS hatte nun aber zur Folge, dass meinem Sohn Hasen als erstrebenswertes Ziel der Haustierhaltung in den Sinn kam und so folgten auf die Meerschweine (die nicht mit einem ewig langen Leben gesegnet sind) dann als Nachfolger eben zwei Hasen.

Zwischendurch bewohnte auch für eine recht überschaubare zeit ein Nymphensittich unser Haus und irgendwann viel es meinem heutigen Exmann ein, dass ein Aquarium doch eine feine Sache sei.

 

Wer das wohl alles gemanagt hat …..?

Wenn ich das jetzt alles so lese möchte ich feststellen, dass ich meinen Beruf verfehlt habe.  Weder die Kunst des Nähens noch die der Bearbeitungsabläufe in öffentlichen Verwaltungen haben ansatzweise etwas mit Tieren zu tun.  Aber vielleicht waren es die sprichwörtlichen Gegensätze, die sich da in mir angezogen haben.

 

Nun gut, dass alles ist lange her und heute bin ich tatsächlich in der Lage, nicht jedes Lebewesen, was mir über den Weg läuft, gleich zu adoptieren. Geblieben ist aber meine Affinität zu Tieren und so kam es, wie es kommen musste. Irgendwann war der Wunsch nach einem Haustier so groß geworden, dass die entsprechenden Anzeigen in der Tageszeitung in meinen Fokus rückten.

 

Meine Lebensumstände waren mit denen von vor ein paar Jahren nicht mehr zu vergleichen. Ich hatte den Mann verlassen, den Sohn verloren (das ist eine andere Geschichte) und das so mühsam gebaute Haus an den Insolvenzverwalter hergeben müssen (auch das ist eine andere Geschichte).

Ich war neu verliebt, geliebt und meine Tochter gerade mal 4 Jahre alt und wir beide wohnten in einer Mietwohnung. Da ich voll berufstätig war, kam für mich eigentlich „nur“ eine Samtpfote in Frage und am allerliebsten wollte ich ein rotes Katzenbaby haben.

Gesagt, getan und eines Tages stand in der Anzeigenrubrik genau DIE Anzeige, auf die ich gewartet hatte. Auf einem Bauernhof in der Umgebung waren Kätzchen abzugeben, auch rote Katerchen.

Also Kind geschnappt, ab ins Auto und ab zum Bauernhof. Katzenbabys sind alle süß und die Bäuerin hatte im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll, um uns die Fellnasen zu präsentieren. Ich hatte aber von Anfang an nur Augen für den roten Kater und genau DER landete dann auch in unserem Transportkorb.

Meine Tochter war so begeistert, dass sie den Korb samt Katze keine Sekunde aus den Augen oder den Händen lassen wollte. Also saß die kleine Lady samt Transportkorb auf der Heimfahrt neben mir auf dem Beifahrersitz und ich erklärte ihr, dass sie für den kleinen, rotgetigerten Mann auf ihren Knien einen Namen aussuchen dürfe.

Und so kam es, wie es kommen musste – altersgemäßem Fernsehkonsum (Bob der Baumeister) sei Dank wurde unsere Samtpfote ab sofort Kuschel gerufen.

Zwei Jahre später war aus dem Katzenkind ein stattlicher, roter, frecher Kater geworden, welcher allerdings durch unsere Abwesenheit tagsüber (Job und Kindergarten) offensichtlich chronisch unterfordert und einsam war. Wir merkten das daran, dass er bei unserer Heimkehr am Nachmittag regelrecht über uns herfiel. Also war schnell die Idee geboren, dass da nach Möglichkeit ein zweites Katzentier angeschafft werden sollte. Am liebsten ein Kitten, welches bestenfalls unsren Kuschel  als Katzenvater anerkennt.

„Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, …..“ – er lachte und es kam ganz anders. Ein Kollege von mir war nach einem Todesfall in der Familie auf der Suche nach einem zu Hause für einen nicht ganz einfachen, nierenkranken Kater unbestimmten Alters, der bei Mißerfolg bei der Suche ins Tierheim abgeschoben werden sollte.

Das ich mit meinem Kollegen überhaupt in die Wohnung ging, um mir den Kater anzuschauen geschah nur deshalb, weil ich (wie so viele Menschen) in meinem Sprachgebrauch ein klares NEIN nicht zwingend vorrätig habe und weil ich meinen Kollegen einfach mochte.

Wir kamen in der Wohnung an und wie mir mein Kollege schon vorab gesagt hatte – Kater sieht uns und verschwindet vorsichtshalber mal irgendwo, wo man ihn nicht finden kann.

Kollege zeigt mir die Wohnung, wir unterhalten uns und setzen uns irgendwann auf die Couch. Es dauert nicht sehr lange und plötzlich merke ich, wie etwas meine Beine streift – DA ISSER, der ominöse Kater und meinem Kollegen fällt die Kinnlade runter. DAS habe Timmy -also der Kater - noch nie gemacht! Allerdings wusste er zu berichten, dass seine verstorbene Tante wohl einmal gesagt habe, um den Kater würde sie sich keine Sorgen machen, der suche sich seine neuen Menschen schon selbst aus.

 

Tja, so war es dann auch. Er hat mein Herz im Sturm erobert und obwohl ich eigentlich gar keine „alte“ Katze haben wollte und schon gar keine mit Nierenproblemen, die eine Gabe von teurem Spezialfutter erforderte, konnte ich mich dem Charme dieses Tieres nicht entziehen.

Ohne mit meiner Family nochmal zu reden wurde Timmy also in eine Transportbox verfrachtet (was er erst einmal nicht so schön fand), dazu sein sämtliches Spielzeug, Katzenklo und restliches Spezialfutter und ab in mein Auto. Ich traf mich nur Minuten später mit meiner Familie auf dem Parkplatz eines Baumarktes und überrumpelte sie mit Timmy. Da es recht warm war und die arme Katze nicht länger als nötig in der Box im Auto bleiben sollte, werde ich zwar nie die wenig begeisterten, schreckgeweiteten Augen vergessen aber für größere Protestaktionen blieb keine Zeit. Also ab nach Hause, Transportkorb abgestellt, Deckel aufgemacht und schauen, was passiert.

Kuschel benahm sich Gott sei Dank ganz manierlich und Timmy hatte, nachdem er endlich aus der Box kam irgendwie wohl vorab schon gescannt, wo er sich am besten erst einmal in Sicherheit bringen könnte. Also rannte er raus, ab in die Küche und dort unter den Schrank.

Dort „wohnte“ er auch die ersten Tage (zumindest solange wir Menschen wach und in Bewegung waren) aber ganz langsam und in seinem Tempo erkundete er das neue Zuhause und den neuen „Kollegen“. Zwischen den beiden entwickelte sich im Laufe der Zeit so etwas wie eine (meistens) recht friedliche Koexistenz. Man bekriegte sich nicht offen aber jeder kannte und wahrte seine Grenzen.

Im Laufe der Jahre wurde der Rote Kuschel mehr und mehr „meine“ Katze und zwischen Timmy und meiner Tochter entwickelte sich eine absolut einzigartige, bedingungslose, zärtliche Liebe. Die beiden waren das, was man Seelenverwandte nennt.

 

Daran hat sich auch nichts geändert, als wir im Januar 2019 meinen geliebten, frechen, roten Kuschel-Kater gehen lassen mussten. Von einem Tag auf den anderen ging es ihm schlecht und obwohl wir weder Geld, Zeit noch Mühe gescheut haben, um dem (wohl von Anfang an unvermeidlichen) nicht ins Auge schauen zu müssen, haben wir den Kampf um ihn letztlich verloren.

Wir waren uns nicht sicher, wie Timmy damit umgehen würde aber erstaunlicherweise ist der „alte Mann“ geradezu aufgeblüht in der Tatsache, dass er jetzt der ungekrönte König seiner Menschen war. Alle Aufmerksamkeit und Liebe bündelte sich auf ihm und er hat mit jedem einzelnen seiner Menschen eine eigene Art entwickelt, wie er mit uns umzugehen gedachte. Meine Tochter war nach wie vor seine Hauptbezugsperson, die konnte/durfte alles mit ihm machen – und er mit ihr. Nicht selten habe ich den Kater quer über ihren Büchern und Heften auf dem Schreibtisch liegend vorgefunden und nie wäre meine Tochter auf den Gedanken gekommen, ihn da weg zu jagen. Dann wurde eben drum herum geschrieben.

Mit meinem Mann wurde jeden Abend gekuschelt, in dem er sich in seine Armbeuge gelegt hat, bei mir wurde sich ganz eng an die Oberschenkel gedrückt oder auf die Beine gelegt. Außerdem war ich der sprichwörtliche „Dosenöffner“ – pünktlich jeden Morgen gegen halb 6 oder 6 hat er mich lautstark gerufen um sich sein Frühstück servieren zu lassen.

Wir hatten uns irgendwann darauf geeinigt, dass Timmy im gleichen Jahr geboren wurde wie meine Tochter, so dass wir nie wieder darüber nachgrübeln mussten, wie alt er denn wohl sein könnte. Laut Tierarzt war das auch sehr wahrscheinlich richtig und so „feierten“ wir am 01.04.2022 seinen 17.-ten Geburtstag. Für eine Katze schon ein stattliches Alter.

Im Frühjahr war ich auf Reha und in den 4 Wochen hat er sich wohl recht schwer getan. Früher hat er bei Abwesenheiten von einem von uns mal 1-2 Tage gegrummelt aber dann war es gut, diesmal hat er sich die ganzen 4 Wochen schwer getan. Ab meiner Rückkehr war alles wie immer und wir entspannten uns.

Im Sommer fuhr meine Familie in den heißen Süden – ohne mich, weil ich diese Hitze absolut nicht vertrage und so praktischerweise auch gleich sicher gestellt war, dass Timmy nicht alleine sein musste und bestens versorgt war.

Nach ein paar Tagen begann er sich seltsam zu benehmen. Er war unruhig, er fraß nicht mehr so wirklich was mich dazu veranlasste, fast täglich zum Supermarkt zu fahren um ein anderes Futter auszuprobieren. Das funktionierte auch irgendwie – genau einmal, um am nächsten Tag wieder verschmäht zu werden und der Kreislauf begann von vorne. Jedes noch so kleine lecken am Futter wurde von mir mit einem Jubel begrüßt und bildlich festgehalten, um es der Familie zu schicken – Beweisfoto: Timmy geht’s gut.

Eines Nachts kam er morgens um 4 zu mir ins Bett, legte sich auf meinen Bauch und begann zu schnurren. Für mich erst einmal ein herrlich beruhigendes Geräusch aber er tat das ganze 2 Stunden am Stück, bis um 6 Uhr mein Wecker klingelte. Das war nicht mehr schön, das war gruselig!

Ich ging also am nächsten Tag – einem Donnerstag - mit ihm zum Tierarzt, der sich erschrocken zeigte, als ich ihm erzählte, dass die Samtpfote schon seit ca einer Woche kaum noch frisst. Er wog Timmy, untersuchte ihn und sah mich dann lange an – ob ich mir wohl bewusst sei, dass dieses kleine Leichtgewicht (er brachte gerade mal noch 3 Kilo auf die Waage) ein geradezu biblisches Alter erreicht habe. …..1000 Fragezeichen und die Gewissheit im Raum, dass das, was er mir damit sagen wollte, von mir nicht gehört werden wollte. Ich packte also meine Katze wieder ein, nachdem er ihm noch einiges an Vitaminen und Aufbaupäparaten gespritzt hatte, begleitet von den Worten, dass man auch einem 94 jährigem alten Mann seine Zigarre und den Rotwein nicht verbieten würde …..

 

Ich wusste es, dass dies der Anfang vom Ende war, eigentlich wusste ich auch, dass das nicht mehr der Anfang war, sondern wir uns schon mitten in diesem Prozess befanden aber ich konnte – genau wie 3 Jahre zuvor bei Kuschel – es weder begreifen noch wollte ich es wahrhaben. Also redete ich mir ein, ich müsste dafür Sorge tragen, dass meine Familie wenigstens aus dem Urlaub zurück sein muss und wir gemeinsam die unvermeidliche Entscheidung treffen und tragen. Im Ohr noch die weiteren Worte des Tierarztes – wenn er bis morgen noch immer nicht frisst, bitte sofort wieder kommen.

Natürlich fraß er an dem Abend und am folgenden Tag – eigentlich fast nichts aber niemand hatte ja gesagt, wieviel er fressen sollte.

Bis zum Sonntag ging es immer mehr bergab mit dem kleinen Mann. Er tat Dinge, die er sonst noch nie getan hatte. Er versteckte sich teilweise und auf Rufen reagierte er nicht mehr – ich musste ihn suchen. Er lag an Stellen, wo er vorher noch nie gelegen hatte und das Fressen hatte er wieder eingestellt. Ich war schon glücklich, wenn er wenigstens von seinem Trinkbrunnen naschte, aber es war jetzt bei allem positiv denken wollen selbst für mich nicht mehr zu übersehen, dass der kleine Mann litt.

Also rief ich beim Tierarzt an – um via Anrufbeantworter zu erfahren, dass dieser sich in seinem wohlverdienten Urlaub befand.

Panik!

Gott sei Dank fiel mir ein, dass ich ganz am Anfang unserer gemeinsamen Zeit mit Timmy in einer anderen Tierarztpraxis war. In meiner Verzweiflung rief ich also dort an und schilderte mein/unser Dilemma. Die Praxis hatte sogar noch die alten Unterlagen von vor 11 Jahren da und ich bekam sofort einen Termin. Also hob ich den kleinen Mann wieder in den Transportkorb, nachdem ich ihn aus seinem Versteck geholt hatte und doch genau wusste, dass jetzt der Moment gekommen war, wo ich genau DIES ein allerletztes Mal tun würde.

Mir war schlecht und doch versuchte ich mehr schlecht als recht, ihm nicht merken zu lassen, wie unglaublich schwer mir diese Fahrt fiel, wie schwer mein Herz wurde. Wusste er, das dies unser Ende war? Wollte er es?

Ich kann heute nicht mehr genau sagen, wie ich in die Praxis gekommen bin. Ich weiß, dass die unglaublich nette, junge Tierärztin mich bat, noch einmal zu erzählen, wie es um Timmy bestellt war und das ich erst einmal ein paar Minuten unfähig war, auch nur ein Wort heraus zu bekommen. Sie untersuchte ihn und bestätigte das, was mir schon in der Woche vorher von meinem Tierarzt angedeutet wurde – die Nieren arbeiteten nicht mehr und ein totales Organversagen stand kurz bevor. Er war vollkommen dehydriert und jede weitere Stunde wäre eine Stunde voller Qualen für ihn. Also war die Entscheidung gefallen und obwohl mir mein Verstand bis heute sagt, dass es das einzig Richtige war fühle ich mich gleichzeitig unglaublich schlecht weil ich es war, die die Entscheidung getroffen hat, es JETZT zu beenden. Ein bisschen fühlt sich das übergriffig an – wer bin ich denn, dass ich glaube, Herrin über Leben oder Tod zu sein?

Das letzte, was diese wundervolle Seele sah in seinem Leben, war mein Gesicht und ich hoffe so sehr, dass er nicht enttäuscht war darüber, dass es nicht „seine“ Lieblingsmenschin war.

 

R.I.P. kleine Seele, Danke für 11 wundervolle Jahre und sei gewiss, dass du in unseren Herzen immer einen Platz haben wirst.

 

PS: es sind seither 3 Monate vergangen und noch heute drehen wir uns beim Verlassen der Wohnung um und wollen rufen „bis gleich Timmy, wir kommen bald wieder heim“ …..

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